Die persönliche Lerngeschichte
Die individuellen Erfahrungen, die jeder Mensch in seiner bisherigen Lerngeschichte gemacht hat, prägen zu einem großen Teil auch sein aktuelles und zukünftiges Lernen.
So geht die Sprachwissenschaft davon aus, dass man eine neue Fremdsprache effektiver und erfolgreicher lernen kann, wenn man dabei auf Strategien und Erfahrungen aus dem Erwerb einer bereits erlernten Sprache zurückgreifen kann.
Jeder von Ihnen kann hierbei auf seine ganz individuellen Lernerfahrungen zurückblicken, etwa auf Ihre bereits erlernten Fremdsprachen, die Sie sich in Ihrer Schulzeit angeeignet haben (z.B. Englisch). Selbst wenn Sie in der Schule Erfahrungen gemacht haben, die Sie als negativ empfunden haben, können auch diese sinnvoll genutzt werden:
Indem Sie Ihr Lernverhalten zukünftig so gestalten, dass solche unangenehmen Erfahrungen vermieden werden. Aber selbst wenn Sie unschöne Erinnerungen an Ihre Schulzeit haben: allein die Tatsache, dass Sie eine fremde Sprache gelernt haben, wird Ihnen bei jedem Lernen im Erwachsenenalter viel helfen.
Aber auch Ihre Erstsprache (Ihre Muttersprache), die Sie größtenteils unbewusst im frühesten Kindesalter erlernt haben, ist von großer Bedeutung für die Art und Weise, wie Sie eine neue Sprache lernen.
Beim Erlernen einer neuen Fremdsprache ist es wichtig, einen Rückgriff herstellen zu können auf bereits erworbene Sprachlernstrategien (auf welche Art Sie beispielsweise Vokabeln gelernt haben), auf Ihren Umgang mit komplexen Regelsystemen (wie etwa der Grammatik) oder wie Sie sich Sinnstrukturen von Sprache erschließen. Zu diesen Lernstrategien, die Sie gerade zu Beginn des Fremdsprachenlernens nutzen können, zählen beispielsweise:
- das Erschließen von Sinnzusammenhängen durch Vermutung und Raten
- das Verwenden von einfachen Ausdrücken und Redewendungen
- das realistische Einschätzen der eigenen Lernfortschritte
- eine stete Selbstkontrolle und -korrektur
- Strategien zur Verbesserung der Behaltensleistung: z.B. über Wortgruppenbildung, Assoziationen oder den Klang und Rhythmus von Wörtern
- Selbstmotivation durch Belohnungen
- ein ganz bewusster Abbau von Hemmungen, die Sprache zu sprechen
- der Aufbau von Kontakten zu Sprechern der Fremdsprache
- Suche nach Lernmöglichkeiten außerhalb des Sprachkurses (fremdsprachliche Zeitungen, Internet, Filme etc.)
- die Auseinandersetzung mit kulturellen Besonderheiten des Landes, in dem die Sprache gesprochen wird
Gerade ältere Lernende können auf ein recht großes Repertoire an Gedächtnis- und Lernstrategien zurückgreifen, mit denen Sie eine neue Sprache lernen und deren Strukturen für sich erschließen können. Beispielsweise wird beim Erlernen grammatischer Systeme bei einem sinnvoll aufbereiteten Lernmaterial von vielen Lernenden ein kontinuierlicher Abgleich mit Strukturen aus der eigenen Muttersprache hergestellt. So fällt es vielen Menschen leichter, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Sprachen herauszuarbeiten und zu verstehen.
Sind sich die Fremdsprache und ihre Muttersprache sehr ähnlich (wie beispielsweise Niederländisch und Deutsch), haben die meisten Menschen von Anfang an deutlich geringere Probleme, sich die neue Sprache zu erschließen. Ähnlichkeiten im Wortschatz und in der Grammatik wirken sich so positiv auf den Aneignungsprozess aus. Aber nicht nur die verwandten Elemente können rascher gelernt werden:
Durch die Ähnlichkeit der Sprachstrukturen kann häufig ein sogenannter Mitnahme-Effekt festgestellt werden. So werden auch unbekannte Sprachstrukturen und Vokabeln leichter gelernt.
Allerdings – so muss man einräumen – besteht bei verwandten Sprachen die Gefahr, dass man sprachliche Strukturen miteinander verwechselt und somit falsch anwendet.
Weisen die beiden Sprachen jedoch keine oder nur eine entfernte Verwandtschaft auf, ist der Erwerb der Fremdsprache zunächst mit deutlich höherem Aufwand verbunden. Der Lerner muss, gerade in Anwendungssituationen, viel stärker auf seine bis dato gemachten Erfahrung und auf seine Wahrnehmung des Gehörten zurückgreifen, um Rückschlüsse auf den Sinn des Gesprächskontextes ziehen zu können.
Der Anfang des Lernens der Fremdsprache ist zwar oft beschwerlich, in späteren Phasen aber, wenn schon mehr Wortschatz und Grammatik beherrscht werden, ist allerdings die Gefahr, dass es zu Verwechselungen aufgrund einer Ähnlichkeit der Sprachen kommt, deutlich geringer. Die Fremdsprache wird so wesentlich stärker als ein ganz eigenes und eigenständiges Sprachsystem erfasst, dessen Regeln weniger mit denen der Erstsprache vertauscht oder verwechselt werden.
Eine frühzeitige Übertragung des erworbenen Wissens in reale Anwendungssituationen wirkt sich außerordentlich förderlich auf das Erlernen von Sprachen aus. Viele Menschen, die sich zu Anfang des Lernens schwer damit taten, etwa nur zu Hause Vokabeln zu studieren, erleben einen erheblichen Motivationsschub, sobald sie zum ersten Mal die neue Sprache anwenden können. Besonders vorteilhaft für das weitere Lernverhalten ist dabei, wenn man eine aktive Rolle einnimmt, etwa durch Nachfragen, eine aufmerksame Gesprächshaltung und aktive Teilnahme an Unterhaltungen.
Untersuchungen haben gezeigt, dass je besser jemand eine Fremdsprache beherrscht und damit vertraut ist, desto leichter fällt ihm auch das Erlernen neuer Wörter und grammatischer Strukturen. Auch wenn Sie am Anfang mit der Sprache noch Probleme haben - je mehr und je intensiver Sie lernen, desto mehr Lernerfolg werden Sie für sich verzeichnen können.
Grundsätzlich gilt, dass eine Fremdsprache deutlich bewusster verwendet wird als die Erst- bzw. Muttersprache. Da die Fremdsprache weit weniger automatisiert benutzt wird, ist ihr Gebrauch kontrollierter. Dies führt zu einem steten Abgleich mit den erlernten Sprachmustern und somit zu einem bewussten Umgang mit der Sprache.
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von Christoph Gollub
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